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Robert Grissinger, Zeichnung
des Lagers in Aflenz | Archiv der
KZ-Gedenkstätte Mauthausen
BMI Abt. IV/7


Aflenz, 4. April 1945, Amerikanische Luftaufnahme | Luftbilddatenbank Ingeneurbüro Dr. Carls


Interview mit Robert Grissinger, am 20. 10 1967 in der Wohnung und in Anwesenheit des Oskar Schlaf, Wien 13, Russweg 18 und des PR. Marsalek.

Robert Grissinger wurde am 25. 3. 1943 von der Wiener Gestapo wegen seiner politischen Tätigkeit festgenommen. Anfang Februar 1944 kam er ins Lager „Leibnitz‟ bei Graz.

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Das Lager hatte 6 Wachttürme, einen doppelten elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun und vom Lager zu der ungefähr 500 Meter entfernten Arbeitsstätte führte ein schmaler Weg, der links und rechts einen Stachel-drahtzaun, ohne Starkstrom, circa zwei Meter hoch, aufwies. Dieser Weg wurde von den Häftlingen „Löwengang‟ genannt. Außerhalb des Häftlings-lagers befanden sich zwei SS-Baracken, Mannschaftsunterkunft, Schreib-stube und Unterkunft der SS-Führer.
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Capos waren nur deutsche und österreichische Kriminelle. Es gab dort
ca 10 – 15 österreichische Kriminelle, SV- und BVer. Ich hatte mit ihnen keinen Kontakt.
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Im Lager Leibnitz gab es relativ wenig Kranke und die Häftlinge waren vor allem nach der Aufbauzeit relativ gutgenährt. Die wenigen schwerkranken Häftlinge hat meines Wissens nach der Lagerälteste Knebel mittels einer Herzinjektion getötet oder erhängt. Wer ihm dazu den Auftrag erteilt hat, entzieht sich meiner Kenntnis, doch glaube ich, daß er nach eigenem Ermessen schwerkranke und ihm mißliebige Häftlinge ermordet hat.
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Das Essen bestand morgens aus schwarzem Kaffee ohne Zucker, manchmal gab es auch Suppe, mittags erhielt jeder Häftling 1 Liter Steckrübensuppe und abends ¼ Brot, 1 Stückchen Margarine und manchmal eine Suppe, einmal in der Woche auch Rübenmarmelade. Außer Steckrübensuppe gab es auch Hafer, Hirse oder Kukurutzgrütze.
Ab Sommer 1944 war die Verpflegung relativ gut, vor allem deshalb, weil viele durch Luftangriffe getötete Tierkadaver, Pferde, Rinder und Schweine, ins Lager überführt das Häftlingsessen wesentlich bereicherten.
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Aus dem Lager flüchteten insgesamt zwei Häftlinge, einer davon ein deutscher BVer wurde auf der Flucht erschossen, der zweite, ein Sowjet-ischer Sprachprofessor, wurde nicht wieder ergriffen. Die Häftlinge rekrutierten sich größtenteils aus Polen und Russen.
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Eine Besonderheit gab es in diesem Lager, und zwar eine Elster. Von einem Häftling außerhalb des Lagers gefunden und aufgezogen, wurde sie zum Liebling des Lagers und bevorzugte sichtbar die gestreifte Kleidung der Häftlinge. Es ist öfters vorgekommen, daß sie SS-Angehörige angriff.
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Im März 1945 wurde innerhalb der SS darüber gesprochen, daß das Lager evakuiert werden soll.
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Anstatt der Deutschen und Volksdeutschen kamen Volkssturmmänner aus Ungarn. Dies waren größtenteils ältere Jahrgänge und ich hatte mit mehreren dieser Volkssturmmänner guten persönlichen Kontakt. Das waren keine Krieger mehr, sie wußten, daß der Krieg bald zu Ende sein wird. Am 2. April 1945 erfolgte die Evakuierung der Häftlinge. Binnen eineinhalb Stunden mußten die Häftlinge marschbereit antreten und ungefähr 480 Häftlinge verließen in einer Kolonne gehend das Lager. Rund um die Kolonne war die Bewachung postiert. Am Ende der Kolonne ging ein Richt-kommando bestehend aus einem SS-Unteroffizier und zwei verläßlichen SS-Angehörigen.
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Bereits in der ersten Nacht nach dem Abmarsch vom Lager, als die Häftl-inge in einem Sägewerk nach der Stadt Judenburg übernachteten, flüchteten 40 – 50 Häftlinge.
Ich kann mit Sicherheit angeben, daß während der Flucht die ungarischen Volkssturmmänner nur in die Luft geschossen haben. Von diesen ist kein Häftling getötet worden. Doch von Teilen der Zivilbevölkerung sind ge-flüchtete Häftlinge ergriffen und erschlagen worden.

BV=befristete Vorbeugungshäftlinge
SV=Sicherheitsverwahrungs-Häftlinge